Dis Fortführung der leninistischen Strategie in den Farbrevolutionen


13. April 2024 Látószögblog von Márton Békés

Die Dramaturgie der „farbigen Revolutionen“ wurde bei den regierungsfeindlichen Protesten in Ungarn wiederholt eingesetzt.

Jede „Farbrevolution“ verwirklicht lokal ein globales Drehbuch, dieses Rezept wird von Zeit zu Zeit auch in Ungarn anzuwenden versucht. Das Thema „Farbrevolution“ steht ständig auf der politischen Agenda der ungarischen Oppositionellen. Zu letzteren gehören nicht nur „zivile“ Aktivisten oder Parteien innerhalb und außerhalb des Parlaments, sondern auch NGO-s, die aus dem Ausland größtenteils durch George Soros finanziert werden, die Medien, die ebenfalls durch Soros-Zuwendungen und staatliche Subventionen aus den USA, den Niederlanden und Deutschland unterhalten werden, und „unabhängige“ Plattformen im Bereich der Geisteswissenschaften (Hochschulen, Theater) sowie eine Vielzahl von sog. Rechtschutzorganisationen.

Angefangen bei der Demonstration gegen die sog. „Internet-Steuer“ im Oktober 2014, bei der sich das Spektakel der „Regenschirm-Revolution“ in Hongkong mit hochgehaltenen Telefonen mit einigen Wochen Verspätung wiederholte, bis hin zur Demonstration gegen die sog. „lex CEU“ im April 2017bei der

und dann die Ausschreitungen Ende 2018 vor dem Parlament und dem Fernsehgebäude, gegen das sog. „Antisklavereigesetz“, die den Massendemonstrationen in Belgrad, Prag und Bratislava im folgenden Jahr unheimlich ähnelten, bis hin zur Protestwelle im Herbst 2020, deren Höhepunkt die Besetzung des SZFE-Gebäudes (Theater-Uni) war. Was die Symbolik und die Organisation betrifft, so wirkte es, wie eine Generalprobe für eine „Farbrevolution“, die buchstäblich in Theaterkreisen vorbereitet wurde.

Subversionsdrehbücher

An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert stellte sich für die Arbeiterbewegung auf der politischen Ebene, die weit über die rein organisatorischen Dinge hinausging, die wichtige Frage, ob die meisten ökonomischen Kämpfe der gefestigten westlichen Sozialdemokratie nicht doch eine Akzeptanz oder gar eine Unterstützung der bürgerlich-kapitalistischen Ordnung darstellten und

Und wenn ja, wie kann das revolutionäre Bewusstsein in die Köpfe des Proletariats gebracht werden? 

Die leninistische Strategie hielt es für zweckmäßig, einerseits ein Netzwerk von Berufsrevolutionären zu schaffen und andererseits eine nationale Zeitung unter ihre Kontrolle zu bringen, da die Massen nur durch eine „jeden einzelnen erreichende, allumfassende Agitation“ erreicht und gewonnen werden konnten. Auf dieser Grundlage gab Lenin seine berühmte Parole aus: „Gebt uns eine Organisation von Revolutionären, und wir werden Russland auf den Kopf stellen!“ Nicht mehr als fünfzehn Jahre nach der Veröffentlichung des Textes geschah es: 1917 ergriffen die Bolschewiki durch einen Staatsstreich die Macht.

Die Taktik der Avantgarde und die Kommunikationskampagne haben sich als jahrhundertealte Methode erwiesen. Die Aufgabe der „zivilen“ Revolutionäre besteht darin, in mehreren Etappen eine revolutionäre Situation zu schaffen:

  • Infiltration, d.h. die Bildung von Vorhutgruppen (Aktivisten, Medien, NGO, politische Parteien);
  • dann Etablierung (Vernetzung, Information externer Akteure, parlamentarische Präsenz);
  • schließlich Durchbruch (Beeinflussung der Gerichte, Gewinnung der politischen Macht).

Dieses Szenario ist auch in Ungarn gut bekannt, zumal die schriftlichen Fassungen in ungarischer Sprache mit viel Gefühl für Tempo auch auf Ungarisch nacheinander veröffentlicht wurden.

Alinsky in 1971 veröffentlichtes bahnbrechendes Werk Rules for Radicals (Regeln für Radikale) ist auf Ungarisch sogar in zwei Ausgaben erschienen. Zunächst 1988 unter dem Titel Kleiner Leitfaden für Radikale, herausgegeben von der kommunistischen KISZ-Leitung der Technischen Universität Budapest, später 1999 unter dem Titel Das Alphabet des Organisierens der zivilen Kräfte. Die Wahl des letztgenannten Titels war ein klares Zeichen dafür, dass

„Die Methodik hierfür ist wie folgt. […] Es muss eine Atmosphäre geschaffen werden, in der die Notwendigkeit von Veränderungen zwar nicht leidenschaftlich gewünscht, aber auch nicht in Frage gestellt wird.“

Die Revolution ist eine Frage der Organisation.

Dieser Revolutionsführer ist zu einem beliebten Lesebuch für oppositionelle Aktivisten in Ungarn geworden. Die Schulungen und Leseseminare der „Ziviles Kollegium Stiftung“ zeigten ihre Wirkung, denn in der zweiten Hälfte der 2010er Jahre machten alle Oppositionsgruppen aller Couleur (CEU-Protestler, Nerd-Shirts, Stadtwäldchen-Verteidiger) regen Gebrauch von Popovich Erkenntnissen.

Die ehrlicheren unter ihnen machen daraus keinen Hehl, einige haben auch den gar nicht so versteckten amerikanischen Faden bemerkt. So erinnert sich der linke Anarchist Gergely „Nefelejcs“ Varga an den Vorabend der Wahlen 2018 unter konspirativen Gesichtspunkten.

„Wir waren mitten in den CEU-Demonstrationen, vor einer Parlamentswahl, Márton Gulyás gründete eine neue Organisation und startete das Medienunternehmen und den Internetsender PARTIZÁN  […] Zu dieser Zeit wurde der Leitfaden für die Revolution, das Handbuch über das ordnungwidrige Verhalten der Brigade, die Milosevic stürzte, populär.  […] Wir hatten auch zwei Leute von seiner  [Popovich] Organisation zu Gast, um Schulungen durchzuführen.““

Ein paar Dinge wurden bei dieser Geschichte vergessen, wie z.B.: wie viel ausländische – insbesondere amerikanische – Unterstützung sie brauchten, und dass der Anführer von Otpor!, Popovich, konkret für Stratfor, also für eine Abteilung der CIA arbeitete.

Das mittlere Element in der chronologischen Reihenfolge der Revolutionsszenarien, d.h. das ursprünglich 1993 verfasste Werk von Gene Sharp, ist seit 2020 auf Ungarisch erhältlich (Von der Diktatur in die Demokratie), in dem es in der Fußnote des Übersetzers heißt, dass

„Ungarn […] mit seiner schwindenden Demokratie nur noch ein „teilweise freies Land ist“, mehr noch, sogar eine Diktatur“.

Diese Aussage entspricht ziemlich dem ideologischen Narrativ der EU-Erpressung und der in der Wissenschaft vorherrschenden regime-tipologisierenden Semantik (Diktatur, Hybridregime, Mafia-Staat, Wahl-Autokratie).

Typische Methoden für „Farbrevolutionen“

Der Einfluss der Ideen der Revolutionsforcierung ist in Ungarn seit Mitte der 2010er Jahre unverkennbar. Die für „Farbrevolutionen“ typischen Methoden sind seit 2018 besonders auffällig, sowohl in Bezug auf Straßentechniken (Verkehrsblockaden), O1G-Kampagne (vulgäre Beleidigung des Ministerpräsidenten), SZFE-Blockade, TV-Besetzung) als auch in Bezug auf der Volksfrontbildung.

Diese Methoden werden in vielen Nachbarländern angewandt: Occupy-Taktik, Blockade von Gebäuden, Besetzung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens, gemeinsame Aktionen der Opposition. Zusätzlich zu den oben genannten Büchern wurde der internationale Wissenstransfer durch eine Reihe von Foren (Aktivistenplattform, NRO, Schulungen) erleichtert. Das Sommercamp, das im Sommer 2020 vor der Besetzung der Fachhochschule für Theaterwissenschaften organisiert wurde, befasste sich beispielsweise mit der Universitätsbesetzung von 2009 in Zagreb und beinhaltete einen Vortrag über gewaltlosen Widerstand. Während vor 2018 die Vorbereitung auf den „heißen Herbst“ auf der Agenda kleinerer Bewegungen (Studentisches Netzwerk, Milla, Solidarität) stand, wurde das Experimentieren danach koordinierter, organisierter und massenhafter, sogar von provokativen Aktionen begleitet .

Zivile Stosstruppe

Es gibt auch inländische Vertreter der Techniken der „farbigen Revolutionen“, die sich mit ernsthafteren, sogar entwicklungsfördernden Aktivitäten als bloss mit einfacheren Adaptationen, beschäftigen. Dieses Netzwerk ist vor allem im sozialen Bereich tätig, seine Mitglieder kommen vornehmlich aus dem Bereich der Geisteswissenschaften, mit besonderem Interesse an den Problemen des Wohnens und Theaterlebens (wie der Gründer über die Führer der Sender Partizán sagt: „Unser Kontaktnetz entsteht zu einem großen Teil aus dem Kreis von Theaterleuten“). Sie sind in einer Reihe von Bürger-, Berufs- und Interessenvertretungsorganisationen aktiv, treten aber auch im Umfeld von linksgrünen Politikern, ihren Parteien und Bewegungen auf (Párbeszéd, Szikra).

Ihr Kontaktnetz überschneidet sich mit Menschenrechts-, Pro-Migrations- und Rechtsschutz-NGOs auf der liberalen Seite (Amnesty, Helsinki, Shelter, TASZ, Transparency), aber sie haben auch die Finanzierung durch die Soros-Stiftung gemeinsam. In den 2010er Jahren haben sich in Ungarn eine Reihe von Gruppen gebildet, die in der Lage sind, sowohl organisatorisch als auch thematisch ein viel breiteres Spektrum an Menschen zu erreichen und zu mobilisieren als die schwache parlamentarische Oppositionspolitik.

Die Bewegung ‚Tanítanék‚ (‚Ich möchte unterrichten‘) wurde 2016 gegründet, und laut Origo wird aus den  Finanzberichten ihrer Unterstützerin, der „Stiftung für akademische Freiheit”, aus den Jahren 2013 bis 2015 ,klar, dass ein Großteil ihrer Finanzierung von den Open Society Foundations [OSF], der Stiftung von George Soros, stammt“Sie haben die Bewegung des zivilen Ungehorsams im öffentlichen Bildungswesen im Herbst 2022 gestartet, die mit einer Punkt für Punkt durchgespielten Strategie des gewaltlosen Widerstands organisiert wurde. Einer der aktivsten Organisatoren sprach von einem „schockierenden landesweiten Widerstand“, bei dem „Tausende von Menschen zivilen Ungehorsam leisten werden“.

Politische Phase

Die Verbindung zwischen den linken Oppositionsparteien und der „zivilen“ Welt wird äusserst deutlich, wenn wir in einem Interview mit dem Leiter der „Schule des öffentlichen Lebens“ lesen,

dass ab 2018 die Infrastruktur hinter den Parteien aufgebaut, sowie Wissen durch Schulungen vermittelt wurde und das Ergebnis war, dass „die Opposition gegen Fidesz endlich den Stillstand durchbrechen konnte, und das ist nicht zuletzt ein Verdienst progressiver NGOs und Aktivisten. […]

Die Tatsache, dass so viele Leute in der Opposition wieder gelernt haben, Wahlkampf zu führen, dass die Vorwahlen stattgefunden haben, […] dass so viele Leute Stimmen ausgezählt haben, ist definitiv eine qualitative Verbesserung in der ungarischen Politik – und fast alles davon kam aus der Welt der Aktivisten. Ein gutes Beispiel für die Positionierung von Zivilisten in der Politik ist die Budapester Stadtverwaltung, die vom ehemaligen Párbeszéd Ko-Vorsitzenden Gergely Karácsony, dem Oberbürgermeister von Budapest geleitet wird und in der mehrere Mitglieder der ungarischen regierungskritischen Gemeinschaft (András Jámbor, Benedek Jávor, Bálint Misetics) oder des internationalen progressiven Netzwerks (Dávid Dorosz, Dávid Korányi) Anstellung gefunden haben. Es ist sicher kein Zufall, dass die meisten politischen Verbindungen über Párbeszéd hergestellt werden.

Nach den gescheiterten Wahlen wird auf der Oppositionsseite die Alinsky-Methode auffallend oft angewendet. Nach den Fiaskos von 2014, 2018 und 2022 standen Politiker der grünen Linken an der Spitze der Aktionen, sei es der ehemalige Vorsitzende von Együtt  (Péter Juhász), Mitglieder der Párbeszéd-Fraktion (András Jámbor, Tímea Szabó, Bence Tordai) oder ehemalige LMP– und später Momentum-Mitglieder (Ákos Hadházy, Bernadett Szél). Nach den Wahlen 2022 hieß es, „Orbán hat große Angst vor Demonstrationen und Streiks, also davor, dass plötzlich viele Menschen sagen: Genug ist genug“, aber auch Veteranen meldeten sich zu Wort und sagten, dass

„es nicht möglich ist, die Fidesz in einer demokratischen Wahl abzusetzen, also muss sozialer Druck erzeugt werden […] das Ziel ist es, den zivilen Widerstand auf der Straße zu organisieren“, und der gescheiterte Ministerpräsidentenkandidat drückte sich so aus, dass „von nun an statt Opposition Widerstand herrscht„.

Ausländische Einmischung in den Wahlkampf 2022

Wie sich es sich herausstellte, erhielt die erst wenige Monate vor den Parlamentswahlen 2022 gegründete, von Péter Márki-Zay geleitete Organisation „Alle für Ungarn (MMM) über den US-amerikanischen Sponsor „Aktion für Demokratie“ bis Juni 2022 etwa 1,8 Milliarden Forint (ca. 4,5 Millionen EUR), und nach Angaben des linken Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten wurde das Geld – unter Verstoß gegen die geltenden Gesetze – an die oppositionellen Kandidaten ausgeteilt. Er vermerkte, dass „es ein MMM-Konto gab. Es wurde für die Durchführung der zentralen Wahlkampagne verwendet. Natürlich gab es auch Kandidaten, die wir unterstützt haben“. 

PS: Die „Talpra Magyar“-Bewegung von Péter Magyar 2024 ist ein weiterer Versuch, das Orbán-Regime mit den Mitteln der Farbrevolution zu stürzen.

Autor, Dr. Márton Békés ist Historiker, Forschungsdirektor des Terror Háza Museums

Diese Studie erschien zuerst am 20. Oktober 2022 in Látószögblog.hu. Verkürzte Version

Deutsche Übersetzung: Dr. Andrea Martin

MAGYARUL: https://latoszogblog.hu/aktualis/allamcsinytevok/

Quelle

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